Best Practice: Einsatz von Process Mining und RPA im Compliance-Kontext
Wie hoch der Abstimmungsaufwand zwischen Pharmaunternehmen und Aufsichtsbehörden sein kann, verdeutlicht eine Kennzahl aus dem Bereich Regulatory Affairs von Merck: ungefähr im Viertelstundentakt reicht dieser weltweit ein Dokument zur Überprüfung bei Behörden wie der FDA oder EMA ein. Um die Abläufe rund um diesen Prozess inkl. der damit verbundenen Datenverarbeitung zu verkürzen, evaluierte das Unternehmen die Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien wie Process Mining, Robotic Process Automation (RPA) und Text Mining. Insbesondere RPA erwies sich dabei als effektiver digitaler Helfer, der einige Arbeitsabläufe komplett übernehmen und zudem die Prozessqualität erhöhen konnte – etwa, indem ein entsprechendes RPA-Tool Rückmeldungen der Behörden automatisiert in die Dokumenten- und Workflow-Systeme einspeist. (1)
Mit der generellen Aufgabenstellung, die auch hinter diesem Beispiel steht, sind Unternehmen im Gesundheitssektor vertraut: Wie lassen sich Geschäftsprozesse so transformieren, dass die Gradwanderung zwischen mehreren Herausforderungen gelingt? Etwa wenn es darum geht, Wettbewerbsvorteile wie die Verkürzung der „Time to Market“ von Produkten bzw. Dienstleistungen zu generieren und zugleich die Einhaltung globaler Regularien weiter zu gewährleisten?
Erfolgsfaktor Business Process Excellence
Adäquate Antworten bzw. Lösungswege liefert eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Business Process Excellence“ (BPE). Dies umfasst verschiedene Disziplinen, die es zu untersuchen und zu bewerten gilt (siehe Grafik). Alle Disziplinen fokussieren sich dabei strikt auf Prozesse und deren fortlaufende Verbesserung.
Grafik: Business Process Excellence Disziplinen © msg advisors
Compliance- und IT-Verantwortliche sollten in diesem Kontext insbesondere zwei Ansatzpunkte nutzen: Erstens, ein kennzahlenbasiertes Business Performance Management, mit dessen Hilfe Entscheider kritische Entwicklungen im Unternehmen frühzeitig erkennen und gegensteuern können. Hier leisten insbesondere Process Mining-Technologien wertvolle Unterstützung, etwa indem sie bestehende Geschäftsprozesse anhand vorhandener Log-Daten erfassen und analysieren. Leitfragen sind hier u.a.: Welche Prozessvarianten gibt es? Welche Prozessschritte werden in welcher Reihenfolge und in welchen Zeitabständen durchlaufen? Welche Unterschiede zwischen definierten Soll- und tatsächlich gelebten Prozessen bestehen?
Zweitens sollte der Fokus auf Business Process Management liegen. In diesem Handlungsfeld geht es darum, Geschäftsprozesse zu optimieren. Dies kann unter anderem erfolgreich durch die Automatisierung von Schlüsselprozessen erfolgen. Damit ist das Business Process Management der wesentliche Ausgangspunkt für den Einsatz von RPA und weiteren Technologien zur digitalen Transformation. Ein Blick auf die Prozessindustrie zeigt, dass die Geschäftsprozesse im Unternehmen bereits durch die Anwendung von ERP- und MES-Systemen auf verschiedenen Ebenen erfasst und gesteuert werden. Es zeigt sich auch, dass an vielen Stellen weiteres Optimierungspotenzial besteht, welches mit der Anwendung von RPA im Zusammenspiel der bereits vorhandenen Systeme gehoben werden kann. Der Fokus liegt in der Regel auf den Prozessanforderungen und dem Ziel, die Business & Shopfloor-Daten bestmöglich zu nutzen.
RPA als Treiber exzellenter Prozesse
An genau dieser Schnittstelle leisten RPA als „Technologie-Baustein“ wertvolle Unterstützung. Bei der zu Deutsch „Robotergesteuerten Prozessautomatisierung“ erlernen Softwareroboter (Bots) repetitive, manuelle, zeitintensive Tätigkeiten und führen diese automatisiert aus. Vergleichbar mit der menschlichen Leistung können die Bots dabei sogar Anwendungssoftware über die Präsentationsschicht steuern.
Die weiteren wesentlichen Vorteile von RPA-Tools bestehen darin, dass sie nicht nur ohne größeren Zeitaufwand in bestehende IT-Systeme übertragbar, sondern auch in der Anschaffung kostengünstig sind – schon nach ein bis zwei Jahren kann sich ihre Anschaffung und Einführung amortisieren. Entsprechend begehrt ist die Technologie: ein Umsatzwachstum von 151 Millionen Dollar (2016) auf über 5,1 Milliarden Dollar (2025) wird für die RPA-Software prognostiziert (2). Aber wie sieht der konkrete Nutzen bzw. das Einsatzspektrum von RPA in der Praxis aus? Dies verdeutlichen die folgenden Anwendungsbeispiele.
Use Case 1: Time to Market verkürzen
Bei einem Hersteller von Medizintechnik übernimmt eine RPA die Aufgabe, die Prozesskette rund um Anträge zur Marktzulassung neuer Produkte zu verbessern. Die Software trägt dazu u.a. Daten über den Verlauf der klinischen Studien aus verschiedenen Systemen zusammen. Da viele Vorschriften einzuhalten sind, erstreckt sich der Antragsprozess über mehrere Jahre. In diesem Fall besteht das Einsatzziel der RPA also in der Verkürzung des Time to Market Zyklus bei gleichzeitiger Einhaltung der Compliance.
Use Case 2: Komplexität reduzieren
Ein Pharmakonzern benötigt technologische Unterstützung bei der Erstellung eines jährlichen Reports darüber, welche Zahlungen an Angehörige medizinischer Fachkreise sowie Organisationen des Gesundheitswesens erfolgten. Dies bringt eine hohe Komplexität mit sich, da die Daten der Zahlungen über verschiedene Systeme verstreut sind. Zudem wurden Kodizes und Richtlinien eingeführt (Sunshine Act), um hohe Integritätsstandards zu erfüllen. Das RPA-Tool kann in diesem Fall automatisiert sämtliche benötigte Unterlagen zusammenstellen, wobei die Prozesse durch integrierte Regeln und Kontrollen nach den Compliance-Vorgaben ablaufen. Die Resultate sowie die Einhaltung der Process Compliance können wiederum mittels Process Mining gemessen und überwacht werden.
Erfolgsfaktoren beim RPA-Einsatz
In den genannten Use Cases sowie in weiteren Projekten zeigt sich immer wieder: ein kontinuierliches Monitoring und stetige Optimierung an veränderte Rahmenbedingungen und aktuelle Erkenntnisse sind entscheidend für den dauerhaften Erfolg eines RPA Einsatzes. Zudem gibt es mehrere wichtige Schlüsselelemente in den Projektphasen zur Auswahl, Einführung und Anwendung von RPA. Beispielsweise sollte man nicht nur potenzielle Optimierungs- und Innovationsbereiche und mögliche Lösungen identifizieren, sondern auch in einem sogenannten „Lighthouse-Projekt“ die Leistungsfähigkeit der RPA in der Praxis testen. Ist dieses Projekt erfolgreich, kann es als idealer Ausgangspunkt für die Erstellung einer unternehmensweiten Roadmap für den RPA-Einsatz dienen. Und nicht zuletzt sollten natürlich von Projektbeginn an entsprechende Governance-Strukturen geschaffen sowie Kompetenzen und Kapazitäten aufgebaut werden, um die Weichen für eine erfolgreiche Inbetriebnahme und Regelbetrieb der RPA-Anwendung zu stellen.
Quellenangaben
(1) Schneller am Markt mit Process Mining und RPA. computerwoche.de, 2019. https://www.computerwoche.de/a/schneller-am-markt-mit-process-mining-und-rpa,3547057
(2) Der Markt wächst. com-magazin.de, 2018. https://www.com-magazin.de/praxis/business-it/robotic-process-automation-so-lukrativ-1481927.html?page=5_der-markt-waechst