Wie Pharma- und Medizintechnikhersteller erstklassige Kundenerlebnisse schaffen
In einem sich ständig verändernden Markt stehen Pharma- und Medizintechnikhersteller vor der Herausforderung, Ärzte und andere Entscheidungsträger im Gesundheitswesen auf neue und effektivere Weise zu erreichen, anzusprechen und zu überzeugen. Omnichannel Experience Management bietet einen Ansatz, um ein erstklassiges Kundenerlebnis über alle Kundenkontaktpunkte hinweg zu gewährleisten.
Das Pharmamarketing befindet sich im Wandel. War der Pharmavertreter in der Vergangenheit meist die einzige Schnittstelle zwischen Hersteller und medizinischen Entscheidern, so wird er heute durch eine Vielzahl unterschiedlicher analoger und vor allem digitaler Kanäle und Customer Touchpoints ergänzt. Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Treiber.
1. Kürzere Innovationszyklen & personalisierte Medizinprodukte
Die Vielzahl an neuen Medizinprodukten bzw. Produktvarianten infolge personalisierter Therapieformen stellt medizinische Entscheidungsträger bei der Wahl der richtigen Behandlungsmethode vor Herausforderungen und erhöht den Bedarf an einfach zugänglichen und qualitativ hochwertigen Informationsquellen jenseits von Face-to-Face Interaktionen.
2. Verändertes Nutzerverhalten der Digital Natives
Gleichzeitig verändert sich auch das Informationsverhalten in dieser Gruppe. Erstmals tritt eine Generation von Mitarbeitern, vom Arzt bis zum Angestellten in einer Behörde, in das Berufsleben ein, die ihr ganzes Leben mit digitaler Kommunikation aufgewachsen ist. Informationsgewinnung, auch und vor allem von Unternehmen, bedeutet hier Echtzeit-Interaktion.
3. First-in-Class Imperativ
Auf Herstellerseite erhöhen immer kürzere Innovationszyklen den Druck auf Unternehmen, Produktinformationen schneller aufzubereiten und an den Markt zu bringen. Herkömmliche Formate und Kanäle sind dabei zu langsam, um in der wichtigen Frühphase Patientenanteile und Markteinfluss zu sichern.
4. Fragmentierte Zielgruppen
Die Entscheidung, ein Produkt, sei es eine Medikation oder ein medizinisches Gerät, einzusetzen, trifft oft nicht mehr das medizinische Personal allein. Die neuen „Stakeholder“, etwa Behörden, Versicherungen oder Betreuungsangebote verlangen eine neue Art der Interaktion und andere Touchpoints, die von den Herstellern ebenfalls adressiert werden müssen.
"Ziel ist es, über alle Berührungspunkte, die ein Kunde entlang der Customer Journey mit dem Herstellerunternehmen hat, ein positives Nutzererlebnis zu schaffen."
Omnichannel Experience als Schlüssel für ein erstklassiges Kundenerlebnis
Angesichts dieser Entwicklungen gewinnt eine kanalübergreifende, datengetriebene Echtzeitstrategie für das Pharmamarketing zunehmend an Bedeutung. Genau hier setzt das Omnichannel Experience Management an. Ziel ist es, über alle Berührungspunkte, die ein Kunde entlang der Customer Journey mit dem Herstellerunternehmen hat, ein positives Nutzererlebnis zu schaffen. Dies gelingt vor allem dann, wenn Ärzten und medizinischen Entscheidern relevante Inhalte zur richtigen Zeit auf dem richtigen Kanal zur Verfügung gestellt werden, die sie bei ihrer Behandlungsentscheidung unterstützen.
Das reicht von medizinischen Fachdokumenten über Studienergebnisse oder -fortschritte bis hin zur Vernetzung mit Kollegen aus dem gleichen Fachgebiet. Umgekehrt führen Nichtverfügbarkeit, verspätete Antworten, Fehlinformationen sofort zu negativen Erfahrungen. In einer von digitaler Interaktion geprägten Erfahrung erwartet der Kunde, dass ein Unternehmen alle ihm zur Verfügung gestellten Informationen jederzeit im Sinne des Kunden nutzen kann, bis hin zur Antizipation von Kundenanliegen.
"Die Basis für ein erstklassiges Omnichannel-Erlebnis ist ein tiefes Verständnis der eigenen Zielgruppe."
Building Blocks erfolgreicher Omnichannel Experiences
Richtig umgesetzt, kann der Omnichannel Experience Ansatz so nicht nur dabei helfen, die Sichtbarkeit und Reichweite des Unternehmens in den relevanten Zielgruppen zu erhöhen, sondern auch den Aufbau von langfristigem gegenseitigem Vertrauen unterstützen. Voraussetzung dafür ist, dass die einzelnen Akteure auf Unternehmensseite über verschiedene Kanäle hinweg Informationen austauschen, um dem Kunden mit maßgeschneiderten Angeboten und passenden Vorschlägen begegnen können. Drei Prinzipien sind dabei entscheidend:
- Konsequente Kundenzentrierung
Die konsequente Ausrichtung aller Vertriebs- und Marketingkanäle auf die Bedürfnisse und das Verhalten von Ärzten und medizinischen Entscheidern ist das zentrale Prinzip des Omnichannel Experience Managements. Dazu gilt es, bestehende Prozesse in Marketing, Vertrieb oder Kundenservice vom Nutzer her neu zu denken und im Rahmen eines agilen Vorgehens immer wieder neu an ihm auszurichten. Das Ergebnis ist eine kundenzentrierte Kommunikation, die es dem Nutzer im Sinne einer Inbound-Logik ermöglicht, jederzeit und über alle Kanäle genau die Informationen zu erhalten, die er gerade benötigt.
- Durchgängige Customer Journey
Die Omnichanel Experience zielt darauf ab, den medizinischen Entscheider in allen Phasen der Entscheidungsfindung zu begleiten und ihm die jeweils für ihn relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen. Dabei gilt es zum einen, die unterschiedlichen Zielgruppensegmente mit ihren jeweiligen Anforderungen zu berücksichtigen und zum anderen, die verschiedenen Phasen so aufeinander abzustimmen, dass eine konsistente End-to-End Experience entsteht.
- Aussagekräftige Customer Insights
Die Basis für ein erstklassiges Omnichannel-Erlebnis ist ein tiefes Verständnis der eigenen Zielgruppe. Dabei sind die Verfügbarkeit von Daten und die Fähigkeit, diese sinnvoll miteinander zu verknüpfen, zentrale Voraussetzungen für die Verbesserung des Informationsflusses in einem Multi-/Omnichannel-Ansatz. Umgekehrt kann ein qualitativ hochwertiges Omnichannel-Erlebnis dazu beitragen, die Interaktion mit Ärzten und anderen medizinischen Entscheidungsträgern zu erhöhen und dadurch neue Zielgruppendaten zu gewinnen, die wiederum in eine personalisierte Kundenansprache einfließen.
Omnichannel Experience Use Cases
Folgt man diesen Prinzipien, ergeben sich für die Unternehmenspraxis eine Vielzahl möglicher Use Cases, in denen durch Omnichannel Experiences signifikante Verbesserungen in der Interaktion mit Ärzten und Behördenvertretern realisiert werden können. Dies kann bei einfachen Dingen wie der Integration des Customer Service Centers mit dem medizinischen Support und dem Versandinformationsmanagement beginnen. Eine entsprechende Lösung könnte Anfragen intelligent verarbeiten und je nach Inhalt entweder nahtlos an den medizinischen Experten weiterleiten, Auskunft über den Versand eines Medikaments geben oder den Ansprechpartner darauf hinweisen, Informationen zur Anfrage bereitzustellen. Dies wäre eine erste positive, prozessgesteuerte Omnichannel-Erfahrung.
Neben diesen prozessgesteuerten Omnichannel-Erfahrungen ermöglichen datengetriebene Ansätze, aus den Informationen, die Kunden mit dem Unternehmen oder der Öffentlichkeit teilen, diejenigen herauszufiltern, die relevant sind, und maßgeschneiderte Informationen anzubieten, die am besten zur Situation des Kunden passen. So können z. B. hoch personalisierte Informationen auf Micro-Targeting-Ebene proaktiv zu dem Zeitpunkt und über den Kanal bereitgestellt werden, an dem die medizinischen Entscheidungsträger sie erwarten. Gleichzeitig kann durch den Einsatz von Advanced Analytics die Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden, mit der Ärzte bestimmte Behandlungsmethoden anwenden und so potenzielle Neukunden identifiziert werden.
"Je größer die Unternehmen sind, desto mehr verfolgen die Einheiten ihre eigenen Initiativen."
Schleppende Umsetzung im Life Science Umfeld
Bei der Umsetzung dieser Use Cases steht die Pharma- und Medizintechnikbranche im Vergleich zu anderen Branchen, wie z.B. dem Handel, meist noch am Anfang. Neben rechtlichen Restriktionen, die - aus guten Gründen - den direkten Zugang zu bestimmten medizinischen Entscheidungsträgern einschränken, liegen die Gründe hierfür meist in den internen Strukturen der Unternehmen:
Zum einen ist dort die kostenintensive und prestigeträchtige Produktentwicklung nach wie vor die wichtigste Komponente des Erfolgs. Dies hemmt die Dringlichkeit, sich zu verändern und neue Taktiken zu implementieren. Zum anderen agieren die Strukturen der Unternehmen intern in Konkurrenz oder zumindest in Silos. Je größer die Unternehmen sind, desto mehr verfolgen die Einheiten ihre eigenen Initiativen. Die Branche lernt gerade erst, dieses Erbe hinter sich zu lassen bzw. mit den neuen digitalen Kanälen und den dahinter stehenden Methoden gewinnbringend zu kombinieren. Dieser Wandel braucht Zeit. Der Ansatz der Omnichannel Experience braucht skalierbare Erfolge, noch mehr aktive Nachfrage von Kunden und Patienten, aber auch eine neue „Normalität“ der Interaktion zwischen Unternehmen, Ärzten und Patienten, um sich flächendeckend etablieren zu können.
"Häufig fehlt eine unternehmensweite, gemeinsame Sicht auf die Daten."
Datenintegration als Herausforderung
Selbst Organisationen, in denen diese Voraussetzungen gegeben sind, haben bei der praktischen Umsetzung von Omnichannel Experiences meist noch einen weiten Weg vor sich. Dies betrifft vor allem die Zusammenführung und Nutzbarmachung der an den verschiedenen digitalen Touchpoints gewonnenen Daten. Denn häufig fehlt eine unternehmensweite, gemeinsame Sicht auf die Daten. Da bisherige Lösungen in der Regel nicht auf einen Multi- oder Omnichannel-Ansatz ausgelegt sind, tauschen sie die Daten nicht gut untereinander aus und blockieren damit die Verfügbarkeit in Echtzeit.
Data-Lake-Ansätze, bei denen alle Daten in einem Pool zusammengeführt werden, bieten hier einen pragmatischen Ansatz, erfordern aber wiederum ausgefeilte Algorithmen und Methoden, um daraus praktisch verwertbare Erkenntnisse abzuleiten. Hier sind die Unternehmen gefordert, geeignete Lösungen für ein integriertes Datenmanagement zu implementieren. Denn nur viele „gute“ Kundendaten, die sinnvoll miteinander verknüpft werden können, können aktiv zur Verbesserung des Informationsflusses in einem Multi-/Omnichannel-Ansatz beitragen.
"Eine Omnichannel-Strategie allein schafft noch kein positives Kundenerlebnis."
Inkrementelle Vorgehensweise für höhere Akzeptanz
Eine Omnichannel-Strategie allein schafft noch kein positives Kundenerlebnis. Damit Unternehmen die Potenziale des Ansatzes für ihr Geschäft nutzen können, sind ein exzellentes End-to-End-Prozessdesign, eine breit angelegte Datenstrategie oder zumindest eine gute Datentaxonomie unabdingbar. Gleichzeitig gibt es keine Standardvorgehensweise für die Realisierung einer guten Omnichannel Experience. Vielmehr sollten Unternehmen einen Ansatz wählen, der zu ihrer Situation passt und im Sinne eines inkrementellen Vorgehens klein anfangen.
Dazu sollten Unternehmen Beginn des Projekts für sich folgende Fragen klären:
- Wie wichtig ist der Unternehmensführung eine digitale Omnichannel-Strategie?
- Steht dem Omnichannel-Ansatz die geringe Prozessintegration entgegen?
- Wirken die verschiedenen Teile der Organisation mit- oder gegeneinander?
- Besteht ein Bewusstsein für die Relevanz von Kundendaten?
- Ist die Technologie fit für einen Omnichannel-Ansatz?
- Und können wir belastbare und sinnvolle Messgrößen definieren?
Sind diese Fragen geklärt, kann mit der Umsetzung begonnen werden. In der Praxis hat sich ein inkrementelles Vorgehen bewährt, bei dem durch erste Use Cases die Akzeptanz für den Ansatz in der Organisation erhöht wird. So können beispielsweise Daten aus einem Webbesuch des Kunden zur Verfügung gestellt werden, damit der Vertrieb Vertrauen in die Verlässlichkeit der Lösung gewinnt. Wenn eine intelligente Lösung für ein bestimmtes Kundensegment messbar gute Vorschläge macht, kann sie auf alle Kunden skaliert werden. Erst dann macht es Sinn, eine angepasste Prozesslandkarte und das Prozessdesign mit den Möglichkeiten einer unterstützenden Systemlandschaft zu verknüpfen.
Wichtig ist zum einen die Konzentration auf das Wesentliche: Investitionen in digitale Omnichannel-Taktiken sollten immer mit einem nachweisbaren Mehrwert erfolgen. Zum anderen gilt es, im Sinne eines agilen Vorgehens die einzelnen Touchpoints entlang der Customer Journey und ihr Zusammenspiel hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Kundenerlebnis kontinuierlich zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Fazit
Die rasant steigende Zahl neu zugelassener Medizinprodukte infolge immer kürzerer Innovationszyklen, ein verändertes Kommunikationsverhalten und zunehmend fragmentierte Zielgruppen erfordern neue Formen der Interaktion zwischen Herstellern und medizinischen Entscheidern. Omnichannel Experience Management bietet einen Ansatz, um in zunehmend komplexen und digital geprägten Customer Journeys ein qualitativ hochwertiges Kundenerlebnis sicherzustellen.
Gewachsene Organisationsstrukturen und fehlende Datenintegration verhindern zwar heute noch häufig eine schnelle und konsequente Umsetzung. Dennoch ist zu beobachten, dass sich immer mehr Unternehmen auf den Weg machen, das eigene „Operating Model“ auf einen kundenzentrierten Omnichannel-Ansatz neu auszurichten und dabei erste Erfolge erzielen.